Freunde am Spatzentisch
Ich gehe in die Mitte des Tages,
einen Blick auf die Außenfeuer werfen.
Ihr Verlangen nach dem Verlangen.
Kohlenstoff im Leben, Fliegendes, Bestien!
Schwere Verluste.
»Geliebte Freunde am Spatzentisch,
ich werde es mir mit dem Feuer gut gehen lassen.«
Das Handwasch-Lied singend,
alberne Haare und Füße.
Ich bin bereit,
euch ein Leben lang zu füttern.
Geparde
Text auf dem Bett gelesen,
ein Spuk in meinem Geist.
Der Kampf hat seit mehr als einem Monat,
vom zitternden Herzen bis zum gestrigen Ausbruch von
krasser Gewalt, eine andere Aussicht:
Die Entschlossenheit, formlos zu sein.
Niemand zu sein an dem Ort, wo ich wohne.
Politisch falsch ausgesucht.
Schwarze Kleidung
Helme
Augenmasken
Klammern
Kupferdraht
Leder
Kleber
ist nicht unsere Sommerkleidung.
Der Stock ist die Menge der Menge.
Die nicht wechselseitige Behandlung von Angst,
ging über in den wandernden Blick
und ohne Reue in die Nacht.
(Im Moment muss ich mehr freundlich und freundlicher sein.
Kraft des Schutzes, der festen Ausdauer, der schnellen Belastung
und des richtig gewählten Zeitpunkts.)
Es häufen sich
Stück für Stück
die Zaumzeuge
bis zu dem Tag
an dem die Glut aufsteigt.
In unserem Bewusstsein ist der blinde Fleck ein Spielfeld.
Engel in der Kuppel
Vielleicht an der Kleiderordnung ersichtlich,
Menschen die Obst lieben.
Vor allem solches mit feinem Duft.
Die Ärmel sagen, dass sie freundlich und geduldig sind.
Bereit anderen zu helfen, auch wenn sie ihre Hilfe nicht anbieten
und sich in Schwierigkeiten bringen,
wenn sie eine Untersuchung planen.
Sie haben Persönlichkeit, aber nur andeutungsweise
und verfügen über sich, wie über ein Gefäß.
Luft ist in Abendsonnenschleiern um ihre Füße gelegt.
Als solide Existenz eines unwirklichen Schattens
schauen sie herab zu uns.
Im unteren Bereich der Kuppelgeschichte
sehen meiste Leute gelangweilt aus, wie auf einer Party.
Wenn sie Angst haben zu tanzen, bemühen sie sich gut zu riechen.
Es ist eine Vernebelungsstrategie.
Die Kameraden lachen alle,
aber einige lachen nur, wenn sie andere lachen sehen.
Ich sehe dein Lachen als etwas anderes.
Sein Echo hat sich fein verteilt.
Du hast viele Augen.
Gemalte.
Es ist Weihrauch,
wenn auf der Suche nach einem Waffenlager
in einem anderen Gesicht,
der Ausdruck des Erstaunens mir begegnet.
Auf der Suche nach einer Duftmenge gingen wir nach draußen.
Ich möchte festhalten, dass die Menge selbst duftend ist
und aufsteigt,
sie kondensiert im Gewölbe.
Ihre Stimmen streben nach der Unwilligkeit, sich zu verfestigen.
Ich frage mich wie, wenn nicht im Zusammensein mit Fremden,
könnte es in meinem Kopf bequem werden?
Das würde es nicht.
Hohe Wände
Heute ist der zweite Tag der dicken Mauer.
Nur Eier und hohe Wände stehen auf der Seite des Eis.
Wir müssen uns vorbereiten und alleine sein,
uns reinigen und die Miete bezahlen.
So viele Eier müssen Mauern bauen
und wagen, sich zum Werkzeug zu machen.
Wussten Sie, dass wir nichts umsonst tun?
Denken Sie, wir verkaufen Blumen wie Blumen?
Alles versucht, Wörter zu rekrutieren.
Verpulverte Meinungen und Schwerkraft,
die wir zu ertragen haben.
Diese Munition reitet die Leute.
Sie ist durch sich selbst in Gefahr, den Inhalt zu verlieren.
So wie schnelle Hülsen ohne Füllung ankommen,
lassen sie Entzündungen zurück.
Aus der Leere-Muscheln-Firma antwortet es:
Pfft.
Anstatt zu sagen: »Dieser Ort braucht mich.«
Warum nicht sagen: »Ich brauche einen Ort, an dem ich mich
selbst brauche?«
Das Ei zerbrechen.
Einmal
– später –
gingen die dann Enttarnten direkt nach Hause.
Sie waren erstaunt, wie wenig enttäuscht sie waren.
Die Blätter wurden braun,
die Wände gelb und grau,
als das Gewicht abfiel.
Noch immer sind wir Behälter von Licht und Salz.
18 Gebiete
Überall,
in den 18 Gebieten des täglichen Lebens,
blühen.
Zarter Saum der Täuschung,
Elektronische Streichhölzer setzten ihn in Brand.
Vor dem Arbeitsamt blühen.
Im Strohfeuer glühen.
Über dem Küchentisch blühen und schweigen.
Ins Abwaschwasser hineinglühen,
wie ein Mensch, der sich zwingt keine Meinung zu haben.
Zur Mitte hin brennen die Augen.
Dreitausend Pinselstriche über das Blatt treiben,
sich selbst vertreiben und blühen.
Ein selbstgefertigtes Halbfertigprodukt,
eine halbe Tasse Tee.
Offensichtliche Grundvoraussetzungen.
In der Tat ist hier
ein ausgeweideter Geist ohne Magenschmerzen gefunden worden.
Er versäumte die Trauben der Wut zu ernten,
wieder vertäut sich sein Aufruhr im Wind.
Oder ist es schon der Wiedergänger,
der alleine in dunklen Wellen treibt?
Und ohne zu zögern am hohen Aufstieg
in andere Körper fällt?
Es stellt sich heraus, dass es Licht ohne Ruhe gibt.
Auch wenn aus dem Himmel eine Schachtel Erbsen fallen würde, wäre das ok.
Erschienen in: DEN KERN DER TÄUSCHUNG VERFEHLEN
Dialog auf Grundlage eines Gespräches zwischen Manfred Rothenberger und Lily Wittenburg in der Reihe Regalgespräche am 4.2.2020 im Institut für moderne Kunst Nürnberg.
Manfred: Lily Wittenburg ist Stipendiatin des Marianne-Defet-Malerei-Stipendiums. Dabei ist sie nicht unbedingt als Malerin bekannt. Wir dachten uns, wir suchen jemanden, der zwar mit Farbe arbeitet, in dessen Arbeit aber der Pinsel nicht im Mittelpunkt steht. Joshua Groß hatte das Buch Der gesprengte Zwischenraum von Lily entdeckt und wir fanden es interessant und dachten, sie hat vielleicht etwas mit Malerei zu tun. Oder aber doch nicht wirklich. In unserer Liebe zur dialektischen Antithese haben wir dann versucht, sie aufs Glatteis der Malerei zu führen.
Lily: Als Malerin begreife ich mich tatsächlich nicht. Aber ich begreife mich sowieso überhaupt nicht als Kategorie. Viele Künstlerinnen arbeiten ja nicht mehr rein als Malerin oder Bildhauerin; es gibt Installationen, Gefüge, Zusammenschlüsse. Tatsächlich habe ich gerade die Malerei bei meinen Experimenten immer aus- geklammert. Oder zumindest hätte ich nichts von dem, was ich gemacht habe, als Malerei bezeichnet, auch wenn es ein Näheverhältnis zur Malerei gab. Wegen meiner Angst vor Pinseln habe ich sie bislang immer ver- mieden. Weil die – zumindest in meiner Hand – sehr unpräzise sind, weil sie so weich sind und so schlupperig. Sie machen nicht was ich will, aber sie machen auch nichts von selbst.
M: Aber du hast schon Pinsel aus der da Vinci Künstlerpinsel- fabrik mitgenommen?
L: Ja, ich habe sehr viele mitgenommen und verwende sie auch! Die Malerei hatte für mich immer eine große Fernwirkung. Aber sie war unnahbar, weil sie so tief verankert und so stark verhandelt ist. Wenn ich mich jetzt mit dem Pinsel konfrontierte, dann wollte ich die Malerei als Herausforderung nehmen, als etwas, das ich sowohl inhaltlich als auch haptisch überhaupt nicht be- herrsche. Ich habe das Stipendium also als guten Anlass genom- men, mich meinen Vermeidungsstrategien und meinem Hang zur Kontrolle in einem neuen Feld zu stellen.
M: Was hast du denn im Atelier gemacht?
L: Ich habe mir vorgenommen, drei Monate lang nur Experimente zu machen und so zu tun, als müsste ich niemals irgend- jemandem etwas zeigen. Als müsste das gar nicht irgendwo ankommen. Vor zwei Jahren bekam ich ein Kind und habe eine Pause vom Arbeiten mit Material gemacht. So kam ich hier an. Mir war klar, ich will nicht da weitermachen, wo ich aufgehört habe, und versuchen besser zu werden in dem, was ich vorher gemacht habe. Ich will mir einen Elfenbeinturm auf Zeit bauen, mit ganz vielen Werkzeugen, die mir neu sind, und mich komplett torpedieren und verunsichern. In den Jahren nach meinem Diplom gab es selten Unterbrechungen im Tun, da ist es nicht so leicht, sich wieder als Anfängerin zu behaupten. Man verengt sich ja immer. In allen Professionen kommt es zu einem vermeintlichen Besserwerden, einem Mehr- wollen. Man wird geschmeidiger, man kommt weiter, und man weiß: So, das kann ich, und das kann ich nicht. Da passiert es schnell, dass das Weitermachen sich auf bereits Bekanntes ausrichtet. Ich befand mich also in einem Zustand, in dem ich dachte, ich will mir selbst ein Bein stellen. Ich möchte gegen Wände laufen. Da hat mir jemand gesagt: Malerei! Oh Gott, Malerei, Hilfe! Also ganz viele Pinsel nehmen, keine Ahnung haben, wo anfangen und anfangen. Farben nehmen und malen, ohne Idee. Als fiktive Anfängerin – ich kann ja nur spielen, dass ich wieder Anfängerin sei – habe ich da gesessen und gewartet. Es ist schwierig, so zu tun, als ob man nicht wüsste, was gelungene und was ungelungene Kunst ist. Jetzt ging es darum, genau dahin zu gehen, wo es mir am allerpeinlichsten ist. Sie müssen wissen: Über Jahre habe ich Linien auf Papier gezogen. Feine, schnurgerade Linien. Das war himmlisch, eine wunderbare Versenkung. Es gab eine Reihe anderer Unternehmungen, die experimenteller waren, mit Lack auf Gläsern, mit Licht und Staub. Aber Linien zu ziehen, das beruhigt mich, da geht es mir gut. Also habe ich mich hingesetzt und gesagt: Ich darf keine Geraden, ich mache jetzt in Farben. Ich habe mir Chromatographie-Papier besorgt, das die Farben aufsaugt, das sie zerlegt. Ich bin dahin gegangen, wo es für mich nicht mehr kontrollierbar ist und wo ich nicht mehr auf meinen Geschmack vertrauen kann. Auch um in diesem Spiegel dann vielleicht zu finden: Was ist eigentlich Geschmack? Mein Professor sagte immer, »Geschmack gibt’s nicht, Geschmack ist kein Kriterium in der Kunst.«
M: Was hat er denn stattdessen als Kriterium vorgeschlagen?
L: Es gäbe gute und es gäbe schlechte Kunst. Das Thema würde hier den Rahmen sprengen. Aber wenn ich mir kuratierte Gruppenausstellungen anschaue, scheint mir da oft sehr viel persönlicher Geschmack darin zu sein. Die Dinge sind geschmeidig miteinander, wie eine gute Playlist. Es gibt Ausstellungen, die sind wie eine House-Playlist und welche, die sind eher eine Stockhausen-Playlist. Ich sehe eigentlich selten, dass da dann plötzlich ein Wagner reindrischt. Na und? Ich bin auch so, es gibt Dinge, die mir gefallen, mit denen ein Wohlfühlen einsetzt. Aber es geht ja nicht nur darum, dass man sich persönlich wohl fühlt. Da bin ich auf einem zu gesicherten Boden. Und den wollte ich kaputt machen. Was mir auch gelungen ist. Ich habe jetzt ganz peinliche Bilder gemacht – für mich sind sie sehr peinlich.
M: Marktstrategisch gesehen ist das ja eine Katastrophe.
L: Ja, es ist auch für mich persönlich eine Katastrophe.
M: In der Kunst geht es ja oft um eine schnelle Wiedererkennbarkeit in der Handschrift. Einen Stil, der mir sagt, diesen Künstler kenne ich. Die Galerien leben davon. Nur wenn man so bekannt ist wie Gerhard Richter ist es möglich, mal seine Hand- schrift völlig auszutauschen, etwas ganz Neues zu machen. Und dann ist es natürlich die Oberkühnheit. Aber wenn man noch gar nicht richtig gesehen wird in der Kunstlandschaft, dann ist es ein ziemlicher Harakiri-Weg, den du da gehst. Auf jeden Fall zeugt es von einem großen inneren Mut. Wenn du das öfter tust, musst du damit rechnen, dass immer, wenn jemand begonnen hat, dich zu begreifen, du schon wieder um die nächste Ecke bist. So schnell, dass dir dann keiner mehr folgen kann.
L: Ja, es könnte als Trickster-Vorgehen gelesen werden. Als würde ich mit Täuschungen spielen. Aber als »Strategie« würde ich dieses Zickzack-Manöver in die Mehrdeutigkeit nicht be- zeichnen wollen. Für mich, in dem Kontext, in dem wir uns gerade befinden, ist Widersprüchlichkeit wichtig. Es gibt zur Zeit eine große Nostalgie und eine apokalyptische Vorstellung von Zukunft. Beides steht auf unangenehme Weise fest. Vielleicht sorgt eine allgemeine Zukunftsangst dafür, dass man bei dem bleibt, was man kennt, man schaut zurück auf das, was man hatte, und man versucht, zu bewahren und gerade Wege zu sich hin zu bauen. Ich sehe da ein starkes allgemeines Verlangen, erklärbar zu sein, um sich als handelnder Teil der Gesellschaft zu empfinden. Identitäten werden, das ist mein Eindruck, wieder so deutlich und so eindeutig wie möglich gebaut. Selbst unter denjenigen, die sich als randständig begreifen. Wir befinden uns zwar gleich- zeitig in einem wahren Wirbelsturm der Zeichen, in wilden Collagen aus Zugehörigkeiten, aber auch diese sind letztendlich Abgrenzungen. Es scheint mir, als greift gerade eine etwas angstbesetzte Geradlinigkeit um sich. Auch in der Kunst, finde ich, gibt es viel Angst. Oh Gott, wenn ich meine Arbeit nicht theoretisch versiegeln kann, um sie dann mit großer Geste auf lässige Weise, (obwohl hart erarbeitet) in die Ausstellung zu stellen, dann wird sie nicht genug Knall haben. Ich werde ertrinken. Vieles will immersiv sein, den Betrachter gänzlich für sich einnehmen, ihn umhüllen und überwältigen. Diese Haltungen sehen mutig aus, aber ich nehme an, dass es Limitierungen darin gibt, die nur auf den ersten Blick wie Freiheiten aussehen.
M: Du bist seit knapp fünf Monaten hier. Es sollen ein kleines Buch entstehen und eine Ausstellung. Das ist ein enger Zeitplan – man kommt hier an und muss schon ab der zweiten Woche da- rüber nachdenken, was zeige ich in der Ausstellung und wie schaut das Buch aus? Für große Experimente mit ganz neuen Materialien und Techniken ist da eigentlich gar kein Raum. Mich interessiert natürlich brennend, ob es diese Ausstellung geben und wie sie ausschauen wird?
L: Ja, ja, ja. Die Schwierigkeit besteht darin, dass das Format »Ausstellung« so durchchoreographiert ist. Es gibt viele ungeschriebene Regeln in diesen vermeintlich befreiten Räumen. Wie in den meisten Institutionen, in die wir reingehen, wie die Kleinfamilie zum Beispiel auch, sind da so starke unsichtbare Triebkräfte am Werk. Es ist ganz schwer, damit zu brechen. Es ist fast unmöglich, zu sagen: Das ist ein Ausstellungsraum, aber keine Ausstellung. Da bleibt am Ende oft nur eine Geste übrig. Ich lebe in einer Kleinfamilie, aber es ist keine Kleinfamilie. Ich weiß auch nicht, wie das geht, es ist verdammt schwer. Die Ausstellung jedenfalls wird es geben, sie ist schon vorbereitet. Die Unordnung meiner Suche ist jetzt ganz ordentlich in den Raum gehängt, ganz klassisch, das heißt, ich habe zumindest bis jetzt noch keine andere Lösung gefunden. Einerseits gibt es eine Verweigerung, ein Kämpfen mit den Rahmen- bedingungen, und andererseits finde ich es zu wenig, nur Nein zu sagen und eine Vermeidungshaltung vorzuführen. Vielleicht macht sich jemand auf den Weg, fährt 15 Minuten U-Bahn, steigt aus und kommt Schauen, dann bin ich Gastgeberin und möchte nicht, dass dieser Jemand seine kostbare Lebenszeit verschwendet. Natürlich verschwenden wir andauernd kostbare Lebenszeit, das passiert einfach und dafür kann ich nicht die Verantwortung übernehmen, aber zumindest eine Folie möchte ich herstellen, etwas anbieten, aus dem heraus etwas entstehen könnte, eine Begegnung zum Beispiel.
M: In meinem Berufsfeld begegnet mir so etwas nicht oft. Eine Künstlerin, die ein Stipendium kriegt, die sagt: Hilfe, ich will gar keine Pinsel oder zumindest nicht so viele. Und ich will auch keine Ausstellung. Das ist ja das totale Gegenteil von dem, was normalerweise pas- siert, wie dieser ganze Kunstbetrieb funktioniert. Alle wollen immer gleich die dicken Pinsel und die große Ausstellung. Da bist du wie ein Sandkorn im Uhrwerk.
L: Nein, es läuft immer noch weiter, das Uhrwerk ist zu groß für ein einzelnes Sandkorn. Es ist auch nicht unbedingt mein Anliegen, den Betrieb zu stören, so spannend finde ich ihn gar nicht. Es ist aber ein Feld, in dem mir eine andere Form von wilder Intelligenz trotz allem möglich erscheint, in dem es Fragen gibt, die ich verfolgen möchte; aber im Gefüge geht es mir zu oft darum, sein »Ding« herzustellen und das finde ich nicht sehr interessant. Diese Ding-Idee-Identitäten- Verschmelzung wird gerade viel spannender in der Mode verhandelt und natürlich in der Warenwelt, da auch.
M: Erzähl doch mal, was Chromatographie ist und wie du überhaupt auf die Idee kommst, mit dieser Technik zu arbeiten.
L: Ein Chromatographie-Papier ist ein Filterpapier. Mit Chemikalien getränkt wird es für Testverfahren wie Urintests benutzt. Es ist ein saugfähiges Papier mit einer feinen Kapillarstruktur. Trägt man da jetzt Farbe auf, die ein Mischverhältnis hat, zum Beispiel mit einem schwarzen Filzstift, fächert sich das Schwarz in seine verschiedenen Bestandteile auf. Das heißt, Gelb wandert weiter als Rot. Das Papier sortiert Partikel durch die Bewegung der Sogkraft. Es ordnet sie unter ganz eigenen Gesichtspunkten. Es hat etwas Prismatisches, es entsteht ein Spektrum. Mich interessieren Vorgänge, bei denen man an eine Grenze von Sichtbarkeit gelangt oder an eine Grenze davon, etwas ausmessen zu können. In der Vergangenheit habe ich mich mit Staub und Licht oder mit radioaktiven Stoffen beschäftigt. Es ging mir auch in früheren Arbeiten um Dinge, die unheimlich sind, die wir aber immer um uns haben, mit denen wir ständig agieren, die ein ganz wesentlicher Bestandteil unserer Lebenswirklichkeit darstellen. Im Grunde genommen sind sie aber nicht zu begreifen, außer wir wären Physiker. Ich bin in einem alten, dunklen Bauernhaus groß geworden und habe stundenlang in der Küche gesessen und mir Staub angeschaut. Und war fasziniert, wie da ein dimensionsloser Raum ist, der nur manchmal aufscheint. Das war ein kindlicher Blick auf die Mikro-Elemente im Alltag. Die Frage war, wo diese unheimlichen Prozesse noch messbar sind oder wo wir Übergänge wahrnehmen können, wo es zu einer tatsächlichen Begegnung zwischen uns und diesen Kräften kommt. Wo sich das Berühren tatsächlich er- fahren lässt und nicht nur eine Idee ist. Viele Phänomene können wir ja mit bloßem Auge nicht erkennen. Wir sehen die Betonverschalungen gegen das radioaktive Atom, aber das Atom könnte auch eine Erfindung sein. Also fragte ich mich: Wie diese blinden Flecken beschreiben, wie sichtbar machen, dass wir nichts sehen?
M: Am 8. Oktober 2019 schreibst du: »Ich gehe schlafen, das Bild malt sich von selbst.« Du nimmst diese Papiere, du trägst Farbe auf, gehst ins Bett und schaust am nächsten Morgen, was passiert ist. Und es passiert was. Dann schmeißt man etwas davon weg, hebt etwas anderes auf, und dann ist eine Ausstellung fertig?
L: Das war eine sehr arbeitssparende Maßnahme.
M: Mehr willst du nicht dazu sagen?
L: Ich weiß nicht, vielleicht, vielleicht, vielleicht. »Vielleicht« sage ich immer gerne. Es ist nicht so spektakulär, wie es klingt. Leider. Aber vielleicht nächstes Mal, vielleicht wird dann der Weg sichtbarer.
M: Mhm ...
L: (lacht) Ja, das ist schwer, wenn man selber denkt: Das war jetzt spektakulär, wie ich im Kreis gerannt bin und was ich mir überlegt habe. Aber was es am Ende zu sehen gibt, ist überhaupt nicht so zerrissen und widersprüchlich und nervenaufreibend und heiter wie der Weg dahin. Der Weg, der in die Ausstellung führt, ist nicht sichtbar, da sie als quasi erstarrtes Produkt am Ende vieler Versuche steht. Außer es ist eine Erklär-Ausstellung, was mir nun auch wieder nicht richtig erschien.
M: Du bist jemand, der sich mit Text, mit Sprache, mit Literatur, beschäftigt. Auch das ist in der Kunst nicht so häufig. Zumindest ist es mir nicht so oft begegnet. Auf der anderen Seite scheint mir auch das Handwerkliche, das Material für dich sehr wichtig zu sein.
L: Ja, die fast gespenstische Materialität von Dingen, die wir nicht greifen können.
Das kann das Material: Es kann eine wirklich andere Sprache sprechen oder eine andere Intelligenz haben, durch die ich mich gerne vom Weg abbringen lasse. Unsere Zeit ist keine mechanistische Zeit mehr, es ist nicht mehr so, dass die Titanic gegen einen Eisberg fährt, in zwei Teile bricht, alle fallen ins Wasser (die Armen zuerst) und das ist die Katastrophe. Sondern die Katastrophe ist oft unsichtbar, oder auch nicht mehr lokalisierbar, sie ist nicht mehr an einem Ort, sie ist immer auch Definitionssache, steht immer auch zur Disposition: Gibt es jetzt Strahlung? Gibt es jetzt zu viel Feinstaub in der Luft? Ist das ein Aufstand oder ist das inszeniert? Und wie kann ich keine Meinung haben, ohne dabei ignorant zu sein? Mich interessiert politische oder klimapolitische, kritische Kunst nur selten. Mich interessiert es nicht besonders, wenn Kunst durch Informationen belehrt. Ich denke, dass Kunst auf einer anderen Ebene wirkt.
Kunst ist kannibalistisch, sie kann sich von allem ernähren, sie kann in fast alles eindringen, sie hilft uns, dem Wahnsinn des Berechenbaren zu entkommen. Umgekehrt sehe ich, dass sie für andere Disziplinen wie Philosophie, Politik, die Entwicklung von Waren und auch für Aktivismus attraktiv ist. Wie verführerisch es für andere Disziplinen sein muss, zu versuchen, in sie einzudringen. Sie benutzen die Werkzeuge der Kunst, weil ihr Raum durch die großen Maschi- nen der Bewertungen immer enger wird. Es gibt keine Beweise dafür, was zwischen uns vor sich geht, wenn wir uns mittels der Kunst begegnen. Ich denke, es ist ein Ort, an dem wir uns in einem gebrechlichen Zustand sehen können. Er bietet Werkzeuge für dieses Zeugen-Dasein an. Wir sind in der Lage, Spuren zu sammeln, ohne sie zu verfälschen, indem wir sie durch Begriffe handhabbar machen. In diesem Sinne glaube ich, dass Kunst uns helfen kann, mit Zusammenhängen, die wir kaum begreifen können, und mit der unüberschaubaren Gegenwart klarzukommen. Nicht weil sie uns Zusammenhänge erklären würde, wie gutes Anschauungsmaterial, sondern weil sie uns einen Raum gibt, in dem sich die Uneindeutigkeit und Unübersichtlichkeit unserer eigenen Sprache aushalten lässt. Ich bin in der Nähe von Gorleben groß geworden, wo radioaktiver Müll gelagert wird. Es gab ständig Proteste, und dieses Atom war für mich als Kind bedrohlich. Das sind Erfahrungen, die immer wieder auftauchen. (Ganz ohne die eigene Biografie scheint es nicht zu gehen.) Kunst kann ein Medium sein, um – das klingt vielleicht erst ein- mal paradox – der Beunruhigung habhaft zu werden und sie auszuhalten. Um auf die Unheimlichkeit zuzugehen, ohne sie gleich zu benennen oder zu verurteilen, sondern vielmehr einen Raum für sie herzustellen, in dem auch das Geschichten erzählen, die Fiktionen, die Täuschungen und das Suchen ihren Platz haben. Dort ist es dann möglich, Zeuge zu sein, das Unheimliche verliert etwas von seinem Schrecken, und die gemeinsame Betrachtung gibt einem Zeit und verhindert blindes Handeln. Da ist etwas in dieser fragilen Kommunikation, worin wir einander begegnen können ohne uns zu kennen, und manchmal macht das die Welt erträglicher.
M: Manche Künstler arbeiten mit neuen Werkstoffen, die ein Vermögen kosten. Das ist nicht die Art von Material, um die es dir geht. Du sprichst von Staub, Licht, Alltäglichem. Wenn du durch ein Kunstmuseum läufst und siehst da kraftvolle Setzungen an Form und Farbe, kannst du dann damit etwas anfangen? Oder guckst du lieber, ob die Glasfassade richtig sauber ist und wie die Schlieren im Licht schillern?
L: Ja, meistens schon. Meistens gucke ich daneben.
M: Darf ich dich fragen, was du beim Daneben-Gucken in der Zeit hier in Nürnberg für dich herausgefunden hast?
L: Ich habe eigentlich angenommen, relativ offen zu sein. Es hat mich erstaunt, wie begrenzt der Raum, den ich mir gebe, und den ich erkunde, doch war. Es ist schwer zu erklären. Wenn man losgeht und sagt: Ich widerspreche mir jetzt einfach mal und versuche wirklich, mich zu torpedieren – nicht destruktiv, also nicht selbstzerstörerisch –, wirklich zu schauen, wo einem das eigene Ich verloren geht... wo wird es mir fremd, wenn ich das mache? Da bin ich doch sehr viel schneller als gedacht beim Limit angekommen: Oh Gott, da fühl ich mich total diffus, und da auch. Es war ein viel kleinerer Raum, als ich vermutet hätte. Eine ähnliche Übung wie die hier im Atelier mache ich seit einigen Jahren: An einem ausgewählten Tag tue ich alles, was ich sonst nie tue. Frühstück bei McDonalds, dann zum Beispiel ein teures Schuhgeschäft besuchen oder Unterwäsche anprobieren. Dann in die Wirtschaftsuniversität gehen, sich ins Auditorium in den Red-Bull-Saal setzen und so weiter ... Wo fühle ich mich ungemütlich? Richtig unwohl und uncool, dumm, entfremdet. Und wo mache ich mich eigentlich vor mir selbst zum Affen, weil ich mich an irgendeiner Idee festklammere? Das ist eine gute Übung, scheint mir, auch für andere Menschen, für alle Menschen könnte das eine witzige Übung sein. Als eine Freundin mich im Studio besuchte und ich zu ihr mein- te: »Das ist nicht wirklich mein Geschmack oder mein Stil, diese Bilder«, da sagte sie, das sei Niemandes Geschmack. Da habe ich vor Angst noch lange lachen müssen. In meiner Verunsicherung fragte ich mich, wie ich diese Schwierigkeit denn dann festhalten und wie ich daraus etwas machen soll? Es erscheint mir beinahe unmöglich. Das ist, glaube ich, auch ein wichtiger Punkt, den ich aus dieser Erfahrung gezogen habe. Das wirklich zu übersetzen in ein anderes Format, in eine Ausstellung oder in ein Bild, ist wahnsinnig schwer. Auch die Ironie, die da drin steckt und das Schaudern. Es gibt bestimmt Leute, die das können. Vielleicht wäre es als Performance einfacher. Ich weiß es nicht. Es geht ja nicht um mich persönlich, es geht ja vielmehr um mich als Werkzeug.
M: Es steckt ein Schaudern darin ...?
L: Man ist so hilflos, steht ohne alles da. Diesen Moment gibt es wirklich: in dem einem niemand helfen kann. Es verbindet sich das Alleinsein mit der eigenen Identität, und man überhöht sie und versucht gleichzeitig, sie abzulegen. Gerade in einem Residenzstipendium ist das extrem: Ich fahre fünf Stunden Zug in eine andere Stadt, wo ich niemanden kenne, und niemand bin, in ein Atelierhaus, wo nachts niemand ist, und sitze da in der leeren Neon-Kammer und mache irgendwas. Wie eine Laborratte, die sich alles selber ausdenken muss, was sie jetzt da veranstaltet, an sich und an den Dingen. Dann kommt ein Fluchtimpuls ins Können und ins Bekannte, ins Sinnstiften. Ein Arbeitsethos setzt ein. Man nimmt einen ganzen Raum ein, sitzt da und macht hässliche Aquarelle. Man bekommt Geld, aber es gibt keinen eindeutigen Auftrag, Erwartungen gibt es aber schon. Es scheint einfacher, wenn man nicht bezahlt wird, aber dann ist es auf eine andere Weise unmöglich. Muss ich jetzt etwas herstellen, das für andere etwas bedeutet? Mich mit der Weltgeschichte auseinandersetzen, irgendwem antworten, einem imaginierten Fragesteller? Auch das wäre eine Flucht. Man flieht dann in das, was man für relevant hält, oder wovon man denkt, dass es für relevant befunden wird, oder will dort hineingetrieben werden von irgendeiner Autorität. Dieser Punkt will überschritten werden. Da gibt es viel zu beseitigen an selbst formulierten Gesetzen, die uns nicht weiter bringen. Die uns der Sache nicht näher bringen. Vielleicht ließe sich das, was ich da vollzogen habe, am ehesten in eine Spielanleitung übersetzen. Gegen eine Form innerlicher Effizienz, gegen den Willen, Bedeutung zu schaffen, indem man sich über seine Meinung produziert. Und auch um sich selbst zu überprüfen, um sich die Frage zu stellen, ob man bloß Relevanz schaffen will, um auf der Rangrutsche mit dabei zu sein. Wieso nur?
M: Ich habe schon viele Künstler erlebt, auch beim Pressegespräch. Manchmal hat es mich genervt, wenn die Künstler ihre eigenen Staubsaugervertreter waren und schon die Interpretation ihrer Arbeiten abgeliefert haben, bevor man diese überhaupt gesehen hat. Aber jemand, der so wie du diese Situation öffnet und sich in seiner ganzen Unsicherheit und Unklarheit zeigt oder das fast schon zum Konzept macht, das ist mir ganz ehrlich in dieser Radikalität noch nicht vorgekommen. Und ich bin ja auch nur
so ein »Institutsdirektor«. Ich sitze zwar hier vorne. Aber ich bin auch nicht schlauer als du. Man ist oft so gefangen in irgendwelchen Zuschreibungen. Die Frage ist, welche Macht sie über uns erlangen.
L: Ach, ich habe schon einen strebsamen Impuls in mir. Und meiner Beobachtung nach werden, wenn sich dieser Impuls regt, die Handlungen einigermaßen langweilig. Weil sie dann kontrol- liert sind und zeigen: Ich kann das, ich bin gut, intelligent, smart, oder: Ich bin ich. Ich beherrsche das. Es ist die Beherrscher-Idee, die mir doch in vielem fatal erscheint. Und wir sehen ja gerade, dass sie ein Trugbild ist. Eine Situation nicht beherrschen zu können, ist ja eigentlich viel realistischer. Wir disziplinieren uns immer in alle möglichen Richtungen, auch in die, wodurch die Beherrschung etwas verloren geht. Gerade das Nichtbeherrschen anzuerkennen, könnte beim Weitersuchen hilfreich sein. Das auf einen Endpunkt zielende Denken, an dem eine Meinung steht, beiseite zu legen um anzufangen. Wir suchen ja nicht nach einem Endpunkt, sondern, nach einem Weiterleben und Weiter-denken, hoffe ich.
Title:
Autor/in: Catrin Lorch
Erschienen in: Der gesprengte Zwischenraum, 2015
Für Menschen sind Brot, Datteln, Milch, Fleisch und Wasser lebenswichtig. Luft, die für das Leben unverzichtbar ist, wird
von der Atmosphäre der Erde gesichert... Deswegen musste der Mensch von seinen Weltraum-Eskapaden zurückkehren.
„Selbstmord eines Astronauten“, Muammar Al Gaddafi, 1996.
Gustav Metzger zog nach dem Ende seines Studiums in London in eine Kommune in East Anglia. Baute Gemüse im Garten an, entrümpelte Häuser und fuhr Möbel mit einem Leiterwagen auf Flohmärkte. Eines Tages fand er auf dem Sperrmüll einen dreibeinigen Holztisch, dessen Platte gerade
groß genug war, um eine Tasse Tee und ein Buch zu tragen. Der Tisch wurde sein Modell. Auf Studien schmilzt dieser in
sehr bunten Farben zu einem sehr breiten Rund zusammen, das über einer schlanken Säule schwebt. Die Konturen wirken
nie wirklich fest, eher so, als breite sich die Farbe über den Rand der Form aus. Strahlend legt sich diese Erscheinung über die Tischkanten, undurchsichtig und mächtig wie ein Atompilz. Mitte der 1960-er Jahre packte Gustav Metzger seine Bilder zusammen und verstaute sie auf dem Dachboden einer Garage. Er hatte entschieden, zurück nach London zu
gehen. Nicht mehr zu malen. Er wurde Aktivist, Mitbegründer des Committee of 100 und arbeitete mit Flüssigkristallen, die er zwischen Diarahmen erwärmte und auf die Wand projizierte. Sie sehen aus, wie man sich das Innere eines Vulkans vorstellt. Oder Ölschlieren, über die der Wind streicht.
Im Meer nehmen solche Verunreinigungen häufig den breit ausfächernden Umriss einer Jakobsmuschel an, vor allem an den Mündungen der großen Flüsse. Aber es ist nicht einfach, das Irisierende zu fotografieren, nirgends ist auch die Luft so schmutzig. An der Stelle, an der sich der Perlfluss ins
Südchinesische Meer ergießt, kann man kaum mit dem Helikopter aufsteigen. Stromaufwärts dagegen ist die Landschaft
so schön, dass viele Touristen Kreuzfahrten auf schweren alten Schiffen buchen. Wenn man bei lauem Wetter am Rand mächtiger Bergketten aussteigt, landet man in einer anderen Zeit an. Die Männer hier tragen weite Seidengewänder mit Knebelknöpfen und spitze Hüte. Ihr Dorf ist eine Bühne,
dort treten Alte auf, die Mäusen beigebracht haben, ein kleines Seil ordentlich zu vertäuen. Ihre Frauen gießen aus heißem Zucker Ornamente und pusten einen Klecks Tinte so
lange auf dem Papier herum, bis der Schatten der Maus dort aufzutauchen scheint.
Nicht weit entfernt liegt das Gebäude, in dem die Besucher leben. Auf dem Dach sind Solarzellen angebracht, immer ist
ausreichend heißes Wasser vorhanden, sogar für die kleine Sauna und ihren doppelwandigen Kessel. Man könnte auch
ein Feuer entfachen, doch liegt nur wenig Holz vor der Mühle, die dort angelegt wurde, wo ein strudelnder Bach in den von
Seerosen überwachsenen Teich fließt. Ihr Dach ist weit aufgebrochen und verglast, es ist hell in den Räumen, die nur durch
große, versenkbare Scheiben vom Wald getrennt sind. Man kann hier allein sein. Neben dem Eingang wächst ein Brot-
baum. Es gibt Beerensträucher und Obstbäume, im Wasser leben Krebse und kleine Fische. Im Frühjahr ächzen die dunk-
len Holzhütten, die auf Stelzen weit jenseits des Ufers stehen, unter der Last der Netze, in denen sich Schalentiere sammeln.
Sie werden in den schwarzen Kesseln gekocht, die achtlos am Ufer gelagert sind, schon im Frühsommer überwuchert. Und
niemanden kümmern die niedrigen Fallen oder ob man mit der Steinschleuder einen Hasen oder einen Fasan schießt.
Am Ufer steht eine Frau, sie trägt nur ein Tuch um die Hüften. Ihr Blick geht über das Wasser auf die schnellen Bewegungen der Gänse über den Himmel. Dem, der hier noch etwas tut, – wenn richtig gearbeitet wird, nachts das Licht brennt –, dem gibt die Natur zurück, heißt es. Die Leute sprechen nicht
gerne mit den Fremden, die erfahren es ja bald selbst: Die Töpferin, die ihre Drehscheibe unter dem Blätterdach in der Nähe ihres aus Lehmziegeln geschichteten Brennofens aufgestellt hat, kann von ihrem Sitzbrett aus Beeren pflücken.
Der Preis: Die Schwingungen sind auf Ruhe ausgerichtet. Die Stille ist messbar. Die Flüssigkristallanzeige der sorgfältig
getunten Geräte und Antennen schlägt schon bei den Strahlungen eines Mobiltelefons heftig aus, zeichnet WLAN-Netze
und die unruhig ausschlagenden Signale der Nachrichtenübermittlungen, der Fernseher- und Radiowellen als Gebirgsketten aus grünem Licht nach. Agnes Martin sagt, wer im Atelier sitzt und auf gute Ideen
wartet ist schon verloren. Sie verließ New York, um in ein Haus in Mexiko zu ziehen, von dem man sagen kann, dass sein Grundriss so einfach ist wie ein Gemälde von Josef Al-
bers. Weil Josef Albers genau solche Adobes solange gemalt hat bis er bei seinem Quadrat angekommen war. Bis man nichts mehr fortlassen konnte. Agnes Martin entdeckte das „Grid“, das ihr Werk stützen sollte, 1974. Ihre Leinwände waren nie höher und breiter als
sechs Fuß, sie wollte sie noch selbst umfassen können. Als ihre Kraft nachließ, wurden sie etwa einen Fuß kleiner. Ihre Bilder sehen aus wie nichts auf der Welt. Streifen in hellem Blau, Rosa, verwaschenem Bleistiftgrau. Aber es sind Gemälde, nie würde man sie mit Stoffen verwechseln oder Schildern.
Die Pistole war auf einmal da, lag sicher in der kräftigen, feinfühligen Hand der Frau, über deren Oberschenkeln der Stoff der Uniformhosen spannte. Dass das Bild aus sicherer Entfernung entstand, bei aller Nähe, erkennt man daran, dass die Fotografin sich nicht die Mühe machte, ihren Standort zu
überhöhen, indem sie das Objektiv zwischen die Gitterstreben des Balkons gesteckt hätte. Nun kann man den dunklen, trennenden Streifen noch sehen. Auf einem anderen Bild sieht man eine schöne dunkelhaarige Frau. Sie schaut direkt in die Linse. Auch der Blick des Affens – er kauert in einer Ruine – geht in
die Tiefen des Objektivs. Wer hier wen anschaut, prüfend? Die Fotos sind so verschieden wie das, was man an einem Vormittag bei einem Garagenverkauf zusammen sammeln kann, in irgendeiner Provinzstadt. Als hätte man sie aus alten Kartons geholt – oder im eigenen Archiv wiederentdeckt, nach Jahren. Aber nahezu alle hat die Fotografin selbst aufgenommen.
Die Suchende, die ihre Malerei aus der Vogelperspektive des Kameraobjektivs einfängt, lässt los wo sie präzise plant.
Wenn man die Farbschlieren auf Fensterglas, die krustigen Konturen, Verläufe, ansieht, kann man sich vorstellen, dass ihr Blick sie zerschnitten hat, als sie Muster darin entdeckte, Gase, Wolken. Oder eben nur den Rand einer Detonation. Einen Schuss. Die langsam sich ausbreitende Stille. Wenn sie
nach Bildern sucht, dann passt sie diese Glasplatten in Gestelle ein, damit sie das Licht einfärben können, manchmal hilft ein kleiner Strahler. Oder sie lässt das Licht des Scanners darüber gleiten bis sich eine bestimmte Form zeigt.
Jede Linie wurzelt für einen Moment in einem Punkt. Man stellt sich lieber nicht vor, dass sie auch in einem Punkt endet. Sondern dass die Bewegung, der sie gefolgt ist, hier
nur kurz anhält. Dass sie eine angefangene Wegstrecke bleibt, ein Vektor, deren Ursache zwar der Schwung eines Arms ist – die aber, wie bei einem Schwimmzug, auch dann
noch trägt, wenn die Muskelfasern schon wieder zur Ruhe gekommen sind. Die Linie deutet. Mit solchen Linien bedeckt sie das Papier. Wenn sie fertig ist, sind die Bögen nicht liniert, sondern voller Linien. Manche liegen so da, wie Pfeile im Köcher oder Mikadostäbe. Dass sie nur unwesentlich ver-
schoben sind, spielt keine Rolle. Sie sind keine Streifen und auch kein Muster. Sie sind viele, aber allein. Weil jeder Strich einzeln gezogen wurde und nicht wirklich am Blattrand endet (auch wenn mancher perfekt auf einem Lineal entlang gleitende Zug in einem kleinen Versprung endet und man
spürt, dass eine Absetzbewegung den Fluss bremste). Wie das Lineal angesetzt wird, entscheidet sie immer wieder neu. Es
gibt keine Mechanik, keine strenge Kalkulation. Das Blatt ist da, mit allen bis dahin gezogenen Linien – die letzte muss
sich gegenüber allen anderen behaupten. Solche Bilder sind nicht gestreift. Sie sind keine Grafiken und keine Muster.
Nur wenn man sie fotografiert, übersetzt in Pixel und ins Digitale einliest, ziehen sie sich zusammen. Das Bildprogramm macht schimmerndes Moiré aus ihnen – und die Aufsicht mag schillernd changieren wie eine Muschelschale, sie bleibt blind. Gerade weil sie präzise arbeitet, mit einem Tuschestift, Zeichengerät, wie es auch von Architekten oder Ingenieuren und Landvermessern verwendet wird, liest man in diesen Linien immer auch die Markierung. Sie weisen in eine Richtung und jede Abweichung, ein Winkel von ein, zwei Grad, einem Bruchteil von einem Millimeter, wirkt sich aus
auf die Gedanken, die dem Schwarz nachfolgen, Längen und Breitenachsen auf die Erde legen. Nur die Linien, die perfekt nebeneinander aufgereiht sind, bilden eine Art Einhalt, würden zusammen bleiben. Alle anderen können sich schnell verlieren, auch wenn sie zu Beginn noch so eng zusammenstehen. Wären es die Routen sehr kleiner Zugvögel, kämen die einen in Kairo an, die anderen in Dubai oder Istanbul. Wer die feinen abstrakten Zeichnungen sieht, dem
kippen sie schnell in die dritte Dimension. Sie haben etwas von Blaupausen, maßstabsgetreuen Planungsgrundlagen.
Aber wo wird hier abgezäunt? Tatsächlich werden aus solchen Aufrissen keine Gebäude – wo sie sich auftürmen, zu Wänden oder Treppenläufen hochziehen, sich weiten zu Galerien, Toren, weiten Durchbrüchen, stehen sie im Widerspruch zu dem, was mit Material möglich wäre. Sie wirken so
beweglich wie eine Bühne, die sich nicht nur dreht, sondern keine Verankerungen kennt. Eine Bühne, deren Statik gleitend und schwebend die Wände aus allen Verankerungen löst. Wie die spiegelnden Scheiben, beweglichen Gitter und
Paravents, die in der Berliner Krolloper Mitte der Zwanziger Jahre eine Premiere der Madame Butterfly rahmten. Cio-Cio
San sang in einen weiten Raum hinein, ihre Stimme war eine Wolke Klang und breitete sich aus, während Cio-Cios Kimono verschwamm und vor den hohen Schatten und Gittern, die sich über ihr auftürmten, zu einem winzigen, farbigen Klecks zerrann.
Als sie ihre Stifte und Papierbögen ein letztes Mal eingepackt hatte und die Scheibe zum Atelier elektronisch verschloss, bemerkte sie das Tier viel zu spät, das gerade noch rechtzeitig entkam. Sein kleiner Schatten erschreckte sie so, dass eine Schachtel Zeichenkreiden zu Boden fiel. Achtlos räumte sie die zerbrochenen Stücke ein, wischte mit dem Handballen über den Zementboden und ließ den kleinen Fleck verschwinden, indem sie das Licht löschte.
Autor/in: Hans_Chrsitian Dany
Erschienen in: Der gesprengte Zwischenraum, 2015
Überall sind Wandlungen. Staunend bewegt sie sich in ihnen. Es sind Versuche aufzuhören, um anzufangen. Dem Un- bestimmten Zeit zu widmen, als gäbe es nichts zu verlieren. Auf gesichertes Wissen zu verzichten, um das zu sehen, was sich das Denken nicht vorstellen kann. Nichts erwarten, um zu erkennen, was sie noch nie gesehen hat. Sich auf die Suche nach dem Staub in der Luft begeben, die Stabilität des Lichtes zu befragen und das Volumen von Schatten vermessen. Sich dem Unbekannten öffnen, auf die Gefahr hin, darin fremd zu bleiben.
An dem Tag, an dem ich begann dies zu schreiben, bin ich die Straße hinuntergegangen, da hat mich der Anruf eines Polizisten erreicht. Ich höre ihn sagen, ein Tisch sei auf mein Auto gefallen. Als ich bei dem Wagen ankomme, sehe ich, dass es stimmt, etwas ist in ihn eingeschlagen. Den Tisch, der es gewesen sein soll, kann ich aber nicht entdecken. Statt- des- sen kommen drei nervöse Herren im feinen Zwirn aus dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie entschuldigen sich vielmals für das vom Hausdach Gefallene. Visiten- karten weisen sie als leitende Mitarbeiter der Versicherung aus, deren Bürohaus sich dort befindet. Ihr Bekenntnis er- klärt aber nicht, wie der Tisch in einer so ausholenden Kurve über die Straße hinweg fallen konnte.
Dinge bewegen sich oft anders, als der Mensch behauptet oder meint, zu erkennen. Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts glaubten Naturwissenschaftler erfasst zu haben, wie sich die Materie im Universum verhält. Sie waren überzeugt, im Raum zwischen den Dingen, der unmöglich leer sein könnte, befände sich Äther. Bei Licht und Schall, oder dem, was das gerade entdeckte Radio empfing, handle es sich um Wellen, die von dem in sich ruhenden Gas übertragen würden. Das Bild des gefüllten Zwischenraumes als Medium ging schon wenige Jahre später in die Brüche. Es wurde endgültig aufgegeben, nachdem der Versuch unternommen worden war, die Lichtgeschwindigkeit durch einen sich mit ihm bewegenden Beobachter zu messen. Die Geschwindigkeit verändert sich aber nicht, wenn der Beobachter dem Licht folgt. Sie bleibt gegenüber dem im Stillstand gemessenen Tempo identisch. Daraus schlossen die zunächst Verwirrten, Licht bewege sich relativ zu seiner Umgebung.
Albert Einstein kam angesichts des ausgedienten Modells und der neuen Einsicht zu dem Schluss, Äther und universelle Zeit könne man vergessen. Es war der Anfang des gesprengten Zwischenraumes und der persönlichen Zeit. Dinge zeigen sich jetzt als bewegte Verhältnisse zueinander und immer auch als Teil dessen, von dem sie umgeben sind. Zwischenraum und Zeit bilden nicht mehr nur den Hintergrund des Geschehens, sondern formen Elemente einer expansiven Dynamik.
Zu den Folgen der Relativitätstheorie gehört die Erkenntnis, dass man, spaltet man den Kern eines Uranatoms, zwei Kerne erhält, dann vier und sofort acht, bald Tausende. Die durch die Spaltung freigesetzte Energie erzeugt immer mehr Spaltungen. Eine nicht enden wollende Unruhe erfüllt die sich vervielfältigenden Zwischenräume. Die Wellen der wachsenden Intensitäten durchdringen Millionen Leben mit einer Angst vor dem Unabschließbaren, die sich nicht mehr bewältigen lässt. Wider das Unkontrollierbare, dem man sich machtlos gegenübersah, nachdem die Kettenreaktion erst einmal in Gang gesetzt worden war, entstand die Vorstellung, der Mensch könne die Kettenreaktionen und ihre sich immer weiter fortsetzende Bewegung unterbrechen, oder zumindest in einem Stollen begraben, um ihrer Unruhe habhaft zu werden. Die Bauherren der Illusion des temporären Grabes wuss- ten um die Unmöglichkeit ihres Vorhabens, behaupteten aber einfach das Gegenteil.
Um das geplante Zwischenlager erstreckt sich flaches Land, durchwachsen von Wäldern, die Grenze in Sichtweite. Ein Fluss, der an dieser Stelle mit der Grenze zusammenfällt, führte als weitere Linie zum Meer, das aber zu entfernt schien,
um es sich wirklich vorzustellen. Die in der Gegend ansässigen Bauern beugten sich nun abends über Physikbücher, um die Reden von der endlosen Unruhe des Zwischenraumes zu verstehen. Hatten sie bisher zumeist gelebt, ohne viele Fragen zu stellen, träumten sie nun von den ewigen Schatten auf den Häusern von Hiroshima. Ihre Kinder malten Bilder aus tausend Punkten und fragten sich, ob sie, wenn sie einen Apfel aßen, Apfel werden würden.
Als Kind, das zu der Zeit dort aufwuchs, begann sie sich in poetischen Formen mit den Eigenschaften der Spaltung, dem sich sprengenden Zwischenraum und der Strahlung zu beschäftigen. Es wurde zu einer inneren Notwendigkeit. Neben dem Verhältnis von Licht und Dunkel oder der Unschärfe- relation, ist ihre Neugier auch von dem angezogen, was sich widerspenstig der frühen Relativitätstheorie in den Weg gestellt hat: die Vorstellung einer geraden Geometrie von Raum und Zeit. Trotz der geraden Konstanten, des Lineals, das sie verwendet, erscheinen die Zwischenräume der Linien, die sie zieht, verzogen. Die Linien finden Krümmungen, indem sie einander schräg schneiden. Was sich dazwischen befindet, läuft zusammen, wandert ins Nichts. Der Zwischenraum ver- schwindet aber nicht gänzlich, er geht nicht verloren, sondern teilt sich aufs Neue. Aus der Wiederholung entsteht das Ge- webe einer Raumzeit, in dem sich die Lichtkörper der Zwischenräume verzerren, als wirke ein Gravitationsfeld auf sie ein. Die Anordnungen von Linien übersetzen, wie sich durch die Verteilung von Materie, der Tinte und Energie, der Bewegung des Stiftes, die Raumzeit wandelt. Bei diesen Untersuchungen, die ihre eigenen Apparate und Gesetzmäßigkeiten erfordern, geht es nicht darum, in Wettbewerb mit der Wissenschaft zu treten, sondern ein eigenes Verständnis zu ermitteln, tastende Annahmen, denen eine Autonomie erlaubt wird. Anstelle möglicher Ableitungen, die sich die Dinge und ihre Zwischenräume zu Werkzeugen biegen, entstehen Ge- dichte in einer nicht linearen Sprache, „die mit den Händen begriffen werden kann“. Ihre materialisierten Verse nisten als
Objekte in Lücken des Wissens. Sie lassen sich von den Umgebungen formen. Als bewegliche Hypothesen verbinden sie sich mit deren Dynamik, geben sich ihr hin. Verhältnisse ver- schränken sich durch sie hindurch. In ihnen fängt Staub im Licht an zu tanzen oder gekrümmte Linien beginnen zu fliegen, weil sie die Spannung des Ineinander nicht mehr aushalten. Ihr Flug könnte aus dem Gefängnis des für den Menschen Denkbaren führen.
Eine Fluchtlinie wählt meist den kürzesten Weg. Das Wort Flucht stammt vom niederdeutschen fluggt, fliegen ab. Die über die Ebene fliegenden Vögel ziehen eine gerade Linie. Dem Bau des schiefen Hauses ging das Fluchten voraus. Für die Ordnung des Materials wird eine Gerade gezogen, ein Faden gespannt, Luft und Licht durchschnitten. Ihre Markierung zeichnet die kommende Form vor. Im Fluchten erwacht das Gebäude, das in der Planzeichnung schlief. Die gespannte Fuge dient ihm als Richtmaß. Eingefügte Masse drückt sich entlang der durch die Steine wirkenden Schwerkraft. Die Fuge krümmt sich. Wirkungen lassen sich in der Sprache fin- den und liegen doch außerhalb von ihr, bilden, eine weitere Ebene. Als Mensch lebt man dazwischen. Man kann sich ein- bilden das Sprache gewordene Denken gäbe festen Boden unter den Füßen, doch lügt man sich dabei in die Tasche. Die Füße sinken immer tiefer, während der Himmel in die Ferne rückt. Die Fuge öffnet sich zu einer Spalte, in welcher das Denken den Verhältnissen nicht mehr auf die Spur kommt. Manchmal lässt sie sich noch mit der Hand erspüren, aber auch das ist nicht sicher.
In der Musik bezeichnet die Fuge ein Kompositionsprinzip, das eine akustische Raumwahrnehmung erzeugt. Der Aufbau der Fuge, oder fuga, was wiederum Flucht und Entrinnen meint, wird in den aufeinanderfolgenden Einsatz von Stimmen übersetzt. Sie laufen voreinander davon, streben auseinander, überlagern sich verschoben zueinander, bilden Klang- räume. Der Gesang fliegt über den Fluss, der sich aus tausend Linien zu einer dunklen Fläche verwebt. Linien können sich
durch einen Raum ziehen, der aus Material nicht gebaut wer- den kann. Für den Raum bedarf es keiner Begründung, trotz- dem wird in ihm ein Echo hörbar. Es spricht mit den Dingen, antwortet aus dem Zwischenraum, verändert die Raumperspektive. Räume in und neben den Dingen werden mit der Hand behauptet. Es bilden sich Annahmen, die sich nicht aussprechen lassen. Bedeutungen, gedachte Worte, würden die Möglichkeit der Räume versperren. In den Sätzen werden die Eingänge zu ihnen nicht sichtbar. Das Strahlen würde sich verlieren. Die verborgenen Zimmer halten sich deshalb lieber fern von der fixierenden, in sich begrenzten Sprache, bleiben in zweifelnder Distanz zu dem, was ihre Zwischen- räume verschließt. Vielleicht sind es gar kein Räume, sondern ein turbulenter Plan, ein Gas, ein Strahlen? Ja, die Dinge strahlen. Etwas wohnt in ihnen, strömt aus ihnen heraus, umflirrt sie, bildet einen Umraum. Manchmal gibt sich die bewegte Ummantelung eine Zeit lang zu erkennen, wie bei der heißen Kartoffel, die auf einem Teller dampft. Manchmal lassen sich Umstände herstellen, welche die wirkenden Kräfte sichtbar werden lassen. Flüssiges Eisen zeichnet eine Aura um den Magneten. Energie greift in den Außenraum. An anderen Stellen glaubt das Auge Wirkungen zu erkennen, die gar nicht existieren. Die Sonderstellung scheint bei all dem das Licht einzunehmen, weil es sich schneller als alles andere bewegt. Mal umspielt es die Dinge, mal leuchtet es aus ihnen heraus. Aber ist es für das Licht von irgendeiner Bedeutung, dabei beobachtet zu werden?
Menschliche Beobachter verwechselten sich lange Zeit mit dem Zentrum dieser Vorgänge. Nichts existiere ohne ihn, dachte er, und irgendwann, dachte er, könne er alles verstehen. Er schwang sich sogar zu der Vorstellung auf, all das würde nur in seinem Kopf existieren. Dem, was er nicht den- ken konnte, sprach er das Existenzrecht ab. Angesichts der Ekstasen dieser Selbstverliebtheit scheint es zwingend, die Dinge in ihren Sprachen sprechen zu lassen, sie sein zu lassen in ihrer Sprache. Es sind Sprachen, die nichts, so gar nichts,
mit dem menschlichen Begriff von Sprache zu tun haben, weshalb gar nicht von Sprache gesprochen werden muss. In ihnen bewegt sich etwas, was unaussprechlich bleibt und sich dem menschlichen Denken verschließt. Nicht, dass es seine Absicht wäre, dafür interessiert es sich viel zu wenig für den Beobachter.
Nicht wenige fühlen sich von dieser Verschlossenheit zurückgewiesen und ignorieren das abgeschieden Bleibende. Sie wendet solche Befindlichkeiten in ihr Gegenteil, ohne den Schmerz des Getrennt-Bleibens zu verleugnen. Sie öffnet sich den sprachlos gestellten Fragen, auch wenn diese wunde Punkte berühren. Folgt das Material einem ihm Innewohnenden, das sich anders verhält als das Denken und das durch Sprache Denkbare? Es gibt nichts zu verlieren, wenn sie auf jene, die Zugänge zur Wirklichkeit blockierenden Gewissheiten verzichtet und in einen Dialog tritt, der sich außerhalb der denkbaren Sprache unterhält. Oder wie sie es formuliert: „Ist das die Wüste? Wer bist du? Ich bin die Freundin der Wüste.“